Spiss stand in Abhängigkeit von der Mutterpfarre Nauders und den Bischöfen von Chur. Dekanatssitz war Mals im Vinschgau. Lange Zeit hatte die kleine Gemeinde kein eigenes Gotteshaus. Für eine Messe musste man einen dreieinhalbstündigen Fußmarsch nach Nauders in Kauf nehmen.
Die Toten mussten nicht selten unter großen Mühen und Gefahren zum Friedhof der Stammkirche gebracht werden. Im Winter drohte oft Lebensgefahr durch Lawinen.
1607 beschlossen die Spisser ein eigenes Gotteshaus, eine kleine Kapelle zu errichten. Den Spissern wurde auferlegt, dem Pfarrer wenigstens eine Suppe und ein paar Eier, jedoch keinen Wein zu reichen. Falls sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen sollten, bräuchte auch der Pfarrer nicht zu kommen. Inzwischen warf die Reformation ihre Schatten in dieses sonst so ruhige und abgeschiedene Tal.
Schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts setzte im Unterengadin die Revolution im Glauben ein, in der Nachbargemeinde Samnaun bildete sich eine evangelische Kirchengemeinde. Auch einige Spisser schienen der neuen religiösen Bewegung nicht ganz abgeneigt und so berichtete man dem Bischof von Chur über das nachlässige kirchliche Mittun der Christen.
Während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) geriet auch Spiss in den Strudel dieses grausamen Krieges. Das Unabhängigkeitsstreben der unter der habsburgischen Herrschaft stehenden Graubündner und Engadiner spitzte sich durch den Einfluss des reformierten Predigers Kalvin weiters zu. Sowohl auf katholischer als auch auf protestantischer Seite kam es zu schrecklichen Racheaktionen.
1621 drang ein kaiserlicher Oberst vom Münstertal ins Unterengadin ein. Nach einer Niederlage kam das Unterengadin wieder unter österreichische Herrschaft. Ein Jahr später folgte der Rachefeldzug der Engadiner, der Spiss schweren Schaden zufügte. Die Engadiner zerstörten das Gotteshaus, plünderten das Dorf, sodass nur vier Häuser unversehrt blieben. Eine Talseite musste an die Gegenpartei abgetreten werden, der Schergenbach wurde Grenzfluss zwischen den habsburgischen und eidgenössischen Landen.
Nach dieser unruhigen Zeit ging man daran, an Stelle der zerstörten Kapelle eine neue Kirche zu bauen. Am 17. September 1638 wurde die neue Kirche zum heiligen Johannes, dem Täufer, die Glocke und der Friedhof von Bischof Johannes VI . eingeweiht. Die Kirche und deren Ausstattung waren schlicht und auf das Notwendigste beschränkt.
Um eine bessere seelsorgliche Betreuung zu genießen, wurde 1727 ein Widum erbaut.
In einem Vertrag verpflichtete sich der zugeteilte Priester, neben den üblichen Seelsorgsdiensten zweimal im Monat eine Predigt und Kinderlehre zu halten und für die Gemeinde im Laufe eines Jahres 18 heilige Messen zu feiern. Dafür musste die Gemeinde dem Priester das Widum samt Garten, Stadel und Stallung, einen Acker, ein Stück Bergwiese und eine Heimwiese überlassen. Jede Familie musste weiters eineinhalb Klafter gehacktes Scheiterholz zum Widum führen und dem Priester als Abgeltung für den Messwein ein Pfund rohes Schmalz oder Butter ins Pfarrhaus bringen. Die Gemeinde verpflichtete sich zudem noch, die kirchlichen Güter unentgeltlich zu bearbeiten und das Vieh aus dem Pfarrstall umsonst weiden zu lassen.
1777 meldete der Pfarrer von Nauders dem fürstbischöflichen Ordinariat von Chur, dass die Kapelle von Spiss in einem solch baufälligen Zustand sei, dass man in ganz Tirol kein armseligeres Kirchlein mehr finden könne. Für einen Neubau fanden sich alsbald großzügige Wohltäter und so wurde die neue Kirche bereits 1778 eingeweiht.
Im Jahre 1789 wurde dann die provisorisch besetzte Kaplanei von Spiss in eine ständige, dauerhafte Einrichtung, eine sogenannte Expositur umgewandelt. Von da an bekam die Expositur einen jährlichen finanziellen Beitrag aus dem Religionsfonds.
Gstalda liegt auf einer Anhöhe zwischen Noggels und Spiss auf 1712m Seehöhe. Der kleine Weiler gehörte schon immer politisch und kirchlich zu Spiss und wurde 1302 erstmals urkundlich erwähnt. Um 1840 hatte Gstalda mit 40 Einwohnern die höchste Besiedlungszahl. Heute leben noch 10 Personen dort.
Die damaligen Bewohner hatten immer einen beschwerlichen Fußmarsch nach Spiss zum Gottesdienst zurückzulegen, oft unter Lebensgefahr(Winter). Schnee u. Eislawinen, in der übrigen Jahreszeit hatten sie mit Stein u. Murabbrüchen zu kämpfen. So beschlossen sie im Jahr 1834 eine eigene Kirche mit Widum zu errichten.
Am 25. Sept. 1838 konnte die kl. Kirche von Weihbischof Georg Prünster aus Brixen, zu Ehren des hL. Martin eingeweiht werden. Der Hochaltar ist auf 2 Säulen aufgebaut, in der Mitte das Bild vom hL. Martin, flankiert von den 2 Apostelfürsten Petrus und Paulus. Sehenswert sind der Beichtstuhl mit aufgebauter Kanzel sowie ein Schrein mit Madonnenstatue und Kind. Vor der Kirche wurde ein kleiner Friedhof angelegt.
40 Jahre hatte Gstalda immer einen eigenen Priester vor Ort (1839-1879). Danach wurde Gstalda von Spiss aus seelsorglich betreut. Ab 1975 von Nauders aus. Heute gehört die Expositur Spiss- Gstalda zum Seelsorgeraum Dreiländereck, der von Dekan Mag. Franz Hinterholzer geleitet wird.
Gottesdienste werden auch heute noch in Gstalda gefeiert. Am Kirchtag zum Fest des hL. Martin, am Ostermontag und am Pfingstmontag.
Zu diesen Gottesdiensten kommen dann auch die Bewohner von Spiss – zwar nicht mehr über den alten Kirchweg, sondern bequem mit dem Auto. Auch viele abgewanderte Gstaldner und deren Nachkommen nehmen an den Gottesdiensten teil, weil viele ihrer Angehörigen in Gstalda beerdigt sind.
Am Schalklbach unterhalb von Spiss steht die kleine Wallfahrtskapelle SPISSEGG. Der Name drückt schon aus, dass diese Kapelle direkt an der Abzweigung nach Spiss, auf dem alten Karrenweg nach Samnaun steht. Dieser alte Weg wurde bis 1912 für den damaligen Verkehr genutzt. Heute ist dieser Weg nicht mehr begeh oder befahrbar.
Die Kapelle wurde zur Ehren der Schmerzhaften Muttergottes im Barockstil erbaut, aus Dankbarkeit dass Spiss im Franzosenkrieg verschont geblieben und kein einziger Mann aus Spiss gefallen ist.
Das Bild der Schmerzhaften Muttergottes am Hochaltar ist der zentrale Punkt dieser Kapelle. Votivtafeln zeugen von der großen Dankbarkeit vieler Menschen, die hier an diesem Gnadenort erhört worden sind. Außerhalb der Kapelle steht ein großes Kruzifix, das in Holz gefasst ist. Ein Marterl erinnert an den jungen Soldaten Josef Hurmann aus Oberösterreich, der am 22. Juni 1915 bei einem Patrouillengang in den Bach gestürzt und ertrunken ist.
Damals wie heute kommen Menschen mit ihren Sorgen und Nöten, aber auch zum Dank, zur Muttergottes nach Spissegg. Heute führt ein gut ausgebauter Weg hinunter von Spiss zu diesem Gnadenort.
An den Bitttagen findet immer ein offizieller Bittgang nach Spissegg statt, an dem viele Bewohner von Spiss heute noch teilnehmen.